„Das ist doch schon so lange her!“ – einer der beliebtesten Standardsätze von Wegsehern. Unglaublich geeignet, das eigene Gewissen zu beruhigen. Wegsehen ist ja so einfach…
Das Ende meiner Mobbing-Tortur – meine ‚Hinrichtung’ im KKI Essen – liegt nun schon gut 7 Jahre zurück. Geht es mir deswegen jetzt wieder gut?
Ich muss oft an meinen Großvater denken, der mit etwa 30 Jahren im Krieg ein Bein verlor. Ich kenne ihn nur mit seinem durch die Prothese für ihn typischen Gang – bedächtig, etwas ungleichmäßig, mit Gehstock. Manchmal schlug er mit der Faust auf seinen Oberschenkel: er hatte Schmerzen. Er hatte Schmerzen in den Körperteilen – Unterschenkel und Fuß –, die er verloren hatte…
Mein Großvater wurde 84 Jahre alt. Bis an sein Lebensende hatte er diesen speziellen Gang – bis an sein Lebensende hatte er immer wieder Schmerzen, Schmerzen in Körperteilen, die gar nicht mehr da waren.
Warum eigentlich? Das war doch schon so lange her!
Jetzt höre ich schon die Schlaumeier, die sagen: „Das ist doch etwas ganz anderes. Das kannst du doch nicht vergleichen.“
Und warum kann ich das nicht vergleichen?
Der Mensch, der ich war – diese ansteckend fröhliche, fast unkaputtbare Person – wurde nach monatelanger Hetzjagd unter Beifall von ‚Freunden’ und ‚Kameraden’ im KKI KanuKlub Industrie Essen ‚hingerichtet’.
Der Mensch, der ich war, ist tot!
Dabei ist es ganz egal, wie lange es her ist.
Die ich heute bin, ist eine ganz andere Person. Die ich heute bin, lacht auch mal. Natürlich – was denn sonst? Aber in meinem tiefsten Innern bin ich unendlich traurig – so traurig, dass ich an einem wundervollen Frühlingstag wie heute gegen depressive Stimmungen kämpfen muss, dass ich mich am liebsten verkriechen würde – vor der Sonne, vor fröhlichen Menschen, vor Erinnerungen. Ein täglicher Kampf, der mal leichter und mal schwerer fällt – begleitet von Übelkeit, Sodbrennen…
Die ich heute bin, trägt ganz tief in sich drin eine solche Trauer – eine Form von Trauer, die mein früheres Ich einfach gar nicht gekannt hat – eine Trauer über grenzenlose Feigheit derer, die so gern ihr Gewissen beruhigen mit den Worten: „Das ist doch schon so lange her!“
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